Ein -fiktives- Interview mit Heinrich Heine

Herr Heine, Sie wurden am 13. Dezember 1797 in Düsseldorf geboren. Wer waren Ihre Eltern?

Meine Mutter Betty stammte aus einer angesehenen Düsseldorfer Bankiers- und Gelehrtenfamilie, und mein Vater Samson war Sohn eines Kaufmanns aus Hannover. Mein Vater war ebenfalls Kaufmann und handelte mit feinen Tuchen, welche er aus England bezog. 

Warum bekamen Sie den Vornamen Harry?

Meine Eltern waren Juden, und gemäß jüdischer Sitte erhielt ich den Vornamen meines verstorbenen Großvaters. Möglicherweise aber auch, weil ein guter Geschäftsfreund meines Vaters in Liverpool Mr. Harry hieß. Harry ist bei den Engländern der familiäre Name derjenigen, welche Henri heißen, und entspricht ganz meinem späteren deutschen Taufnamen Heinrich. 

Warum haben Sie später den Namen Heinrich für Harry gewählt?

Heinrich, Harry, Henri, all diese Namen klingen gut, wenn sie von schönen Lippen gleiten. In Düsseldorf aber gab es eine besondere Situation. Dort wohnte ein Mann, welcher „der Dreckmichel“ hieß, weil er jeden Morgen mit einem Karren, woran ein Esel gespannt war, die Straßen der Stadt durchzog und vor jedem Haus stillhielt, um den Kehricht, welchen die Mädchen in zierlichen Haufen zusammengekehrt, aufzuladen und aus der Stadt nach dem Mistfelde zu transportieren. Der Mann sah aus wie sein Gewerbe, und der Esel, welcher seinerseits wie sein Herr aussah, hielt still vor den Häusern oder setzte sich in Trab, je nachdem die Modulation war, womit der Michel ihm das Wort „Haarüh!“ zurief. War solches in wirklicher Name oder nur ein Stichwort? Ich weiß nicht, doch so viel ist gewiss, dass ich durch die Ähnlichkeit jenes Wortes mit meinem Namen Harry außerordentlich viel Leid von Schulkameraden und Nachbarskindern auszustehen hatte. Dummheit geht oft Hand in Hand mit Bosheit. 

Während Ihrer Kindheit war Düsseldorf von den französischen Revolutionsarmeen besetzt. Wie hat sich das in Ihrem Leben ausgewirkt?

Die Ideen der Französischen Revolution von 1789 kamen auf diese Weise auch ins Rheinland und haben mein Leben entscheidend mitgeprägt – Liberté, Égalité, Fraternité:
Freiheit von ständischen Zwängen,
Gleichheit aller Menschen von Geburt aus,
Brüderlichkeit bei der Bildung des Regierungs- und Staatswesens.
Diesen später im „Code Napoléon“ festgeschriebenen Zielen einer auf Gleichberechtigung aufbauenden Gesellschaft fühlte ich mich mein Leben lang verpflichtet und habe sie allen politischen Widerständen zum Trotz immer wieder verfochten. Außerdem wurde das Herzogtum Berg, in dem Düsseldorf lag, 1801 als französisches Gebiet anerkannt. Napoleon hatte verfügt, dass alle, die unter französischer Oberhoheit geboren waren, in Frankreich Wohnrecht haben. So konnte ich, als 1845 auf Druck Preußens die deutschen Mitarbeiter des „Vorwärts“ aus Frankreich ausgewiesen wurden, in Paris bleiben. 

Nach Ihrer Düsseldorfer Schulzeit gingen Sie nach Hamburg. Warum?

Meinen Schulbesuch am Düsseldorfer Lyzeum musste ich 1814 ohne Abschluss beenden, da meine Eltern nicht mehr in der Lage waren, die Schule zu bezahlen. Mein Onkel Salomon bot meinen Eltern an, mich in seinem Bankhaus in Hamburg als Kaufmann auszubilden, und so begann ich 1817 in Hamburg eine Banklehre. Später richtete mir mein Onkel sogar ein eigenes Geschäft ein, „Harry Heine und Co“ , in welchem ich die englischen Tuche verkaufen sollte, welche mein Vater in Düsseldorf nicht absetzen konnte. Aber als dieser schwerkrank Konkurs anmelden musste, wurde auch mein Geschäft Anfang 1819 aufgelöst. Ich verließ Hamburg nur sehr ungern. 

Da fällt mir Ihr Abschiedsgedicht ein, welches später mit vielen anderen Gedichten aus Ihrer Hamburger Zeit im „Buch der Lieder“ erschien:
“Schöne Wiege meiner Leiden,
Schönes Grabmal meiner Ruh’,
Schöne Stadt, wir müssen scheiden, -
Lebe wohl! ruf ich dir zu.“

Ja, ich empfand damals sogar doppelten Schmerz. Nicht nur dass ich Hamburg verlassen musste, welches ich wegen seines alten Stadtbildes mit den Türmen und Häusern liebte, ich musste auch Abschied nehmen von meiner Jugendliebe. Ich war damals unsterblich verliebt in meine Cousine Amalie, die Tochter meines reichen Onkels Salomon, aber meine Zuneigung blieb unerwidert, da ich als armer Vetter wohl nicht standesgemäß war. 

Was machten Sie nach Ihrem Weggang aus Hamburg?

Mein Onkel wollte, dass ich Jura studierte, und gab mir Geld dafür. In Bonn, Göttingen und Berlin habe ich aber parallel zu Jura auch Geschichte, Philosophie und Literatur studiert, weil mich das sehr viel mehr interessierte als mein „Pflichtfach“. 1825 machte ich mein Examen und promovierte. 

1825 traten Sie auch zum Protestantismus über und nannten sich fortan nur noch nach Ihrem Taufnamen Heinrich. Warum ließen Sie sich taufen?

Die protestantische Taufe war Voraussetzung für ein öffentliches Amt. 

Sie haben doch aber nie eines bekleidet.

Das ist richtig. Als ich 1825 nach Hamburg übersiedelte, wo meine Mutter und meine Schwester Charlotte inzwischen wohnten, hatte ich aber zunächst die Absicht, als Advokat und später als Ratssyndikus zu arbeiten. Allerdings schrieb ich viel lieber Gedichte und Berichte im Zusammenhang mit meinen Reisen durch Deutschland und ins Ausland. 

Viele Ihrer im „Buch der Lieder“ erschienenen Gedichte und Balladen sind, vor allem in der Vertonung durch Schubert und Schumann, Volksgut geworden.

Am bekanntesten ist aber wohl das von Friedrich Silcher vertonte Loreley-Lied „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“. 

Es fällt auf, dass sich in vielen Ihrer Reiseberichte wie auch in Gedichten häufig Ihre Hamburger Erlebnisse und Erinnerungen sei es als namentliche Erwähnungen oder als bloße Anspielungen auffinden lassen.

Hamburg war als Wohn- und Verlagsort meiner Werke – seit 1826 war Julius Campe mein Verleger – meine zweite Vaterstadt. Ich liebte die Spaziergänge durch das alte, schiefwinklichte, schlabbrige Hamburg, so wie es vor dem großen Brand von 1842 war, ich ging gern ins Stadttheater und in Tanzlokale, im Sommer saß ich gern vor dem Alsterpavillon und betrachtete die Linden, die Häuser, die Menschen, die Alster und die schönen weißen Schwäne, diese majestätischen Symbole der Freiheit. Hamburg war Freistaat und Republik: die Bürger konnten hier tun, was sie wollten, und der hoch- und wohlweise Senat konnte hier ebenfalls tun, was er wollte; jeder war hier freier Herr seiner Handlungen. Aber es war auch eine Schacherstadt, in welcher nicht das mindeste Gefühl für Poesie zu finden war. Jedoch, was ist Geld? Geld ist rund und rollt weg, aber Bildung bleibt. Und so ein bisschen Bildung ziert den ganzen Menschen. 

Warum entschlossen Sie sich im Jahre 1831, nach Paris auszuwandern?

Nach der Pariser Julirevolution 1830, in deren Folge Karl X. gestürzt und durch den „Bürgerkönig“ Louis-Philippe ersetzt worden war, kam es in auch in Hamburg zu Unruhen, den „Judenkrawallen“. Ich fühlte mich nicht mehr sicher; ich hatte zuletzt in Hamburg ein unerquickliches Leben geführt. In Preußen waren meine „Reisebilder“ verboten worden. Später, im Jahre 1835 verbot der Bundestag des Deutschen Bundes alle meine Schriften wie auch die anderer Autoren des „Jungen Deutschland“. In Paris schrieb ich für Zeitungen über Kunst-Salons, über Literatur, Malerei, Theater, Oper, Konzerte; ich berichtete über Komponisten wie Meyerbeer, Chopin, Liszt und Wagner. Ich wollte in jedem Journale alles Mögliche tun, um den Franzosen das geistige Leben der Deutschen und den Deutschen die französische Kultur und Liberalität bekannt zu machen. Dieses war zu dieser Zeit meine Lebensaufgabe, und ich hatte vielleicht überhaupt die pacifike, die Friedens-Mission, die Völker der langjährigen Erbfeinde Deutschland und Frankreich einander näher zu bringen. Das aber fürchteten die Aristokraten am meisten: mit der Zerstörung der nationalen Vorurteile schwindet ihr bestes Hilfsmittel der Unterdrückung.

Es gab in Paris viele politische Flüchtlinge aus Deutschland, die Republikaner zum Beispiel. Ludwig Börne war ihr Sprecher und forderte die politische Revolution. Dieser Revolution hätte alles zu dienen. Auch die Poesie.

Was hatte ich mit Börne zu schaffen, ich war Dichter. Ich bin nicht der Mann, der sich zwingen lässt. Ich wollte nicht die politische Revolution. Meine Zukunftsvision ging von der großen Suppenfrage aus, der wirtschaftlichen und sozialen Revolution.

Im Jahre 1841 heirateten Sie Ihre langjährige französische Freundin Mathilde. Nach Hamburg kamen Sie nur noch zweimal, 1843 und 1844.

Ich hatte Sehnsucht nach meiner Familie, meine Mutter war schon sehr alt. 

In Anknüpfung an Ihre Reise 1843 erschien ein Jahr später Ihr sehr kritisches Werk „Deutschland. Ein Wintermärchen“, in welchem gut ein Viertel der Gedichte Hamburg gewidmet ist, allerdings eher mit zurückhaltender und humoristischer Kritik.

Ich wollte die sozialen und politischen Missstände im konservativen nationalstaatlichen und vom preußischen Zensurstaat dominierten Deutschland aufzeigen. Hamburg gehörte allerdings nur dem Deutschen Bund an und kam deshalb in meiner Deutschlandkritik glimpflich davon. Trotzdem waren Hamburg und seine Bewohner im Wechsel der Zeiten – ich war immerhin 12 Jahre fort, und 1842 war der große Brand – durch krasse Veränderungen einerseits und politische Stagnation andererseits ein sehr geeignetes Beispiel für die Schwächen des Systems und für eine kritikbedürftige, zu verändernde Welt. 

Wie sollte diese Welt aussehen?

Die große Aufgabe unserer Zeit war die Emanzipation. Nicht bloß die der Irländer, Griechen, Frankfurter Juden, westindischen Schwarzen und dergleichen gedrückten Volkes, sondern es war die Emanzipation der ganzen Welt, absonderlich Europas, welches mündig geworden war und sich nun losriss von dem eisernen Gängelbande der Bevorrechteten, Meine Vision war ein freies, gerechtes und humanes Deutschland in einem fortschrittlichen, kooperativen Europa. 

1848 formulierte die deutsche Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche schließlich eine neue liberale Verfassung.

Aber die Auseinandersetzung um die Deutsche Frage, also um Umfang und Organisation des zu schaffenden Deutschen Reiches führte zum Scheitern. Nach der Krönung des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm IV. zum Kaiser gab es Massenerschießungen gegen Aufständische und Hunderttausende mussten ins Exil. Diese preußischen Zustände habe ich in meinem Gedichtband „Romanzero“ beschrieben, welches wegen meiner sich stetig verschlimmernden Erkrankung bereits in meiner Matratzengruft entstand. Nach der Veröffentlichung 1851 wurde das Buch in Preußen verbrannt. Ich denke, wer Bücher verbrennt, der verbrennt auch Menschen. 

Welches war Ihr persönliches Lebensmotto?

Es gilt, treu und ehrlich gegen sich selber sein, man kommt dann schon zum Ziele, wenn auch etwas später.

P.S. Heinrich Heine starb nach achtjähriger schwerer Krankheit (Rückenmarkschwindsucht) am 17. Februar 1856 in Paris. Er wurde auf dem Friedhof Montmartre beigesetzt.

Das Interview führte Wolfgang Panwitz

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